"Restrukturierung heißt: Das Unternehmen Step by Step in die Zukunft führen"

Ein Blick in den Wirtschaftsteil der Tageszeitungen führt fast täglich vor Augen, was es heißt, wenn Veränderungen zu spät eingeleitet werden: Betriebe geraten in Schieflage, Sanierungsprogramme sollen eine drohende Insolvenz vermeiden. Warum Veränderung nicht erst in wirklich kritischen und Existenz gefährdenden Situationen erfolgen sollte und worauf es beim Thema Restrukturierung vor allem ankommt, erklärt Dr. Jochen Hanselmann in dem folgenden Gespräch.

 

Herr Dr. Hanselmann, vor einigen Tagen ist in der EDITION HANSELMANN das dritte eBook erschienen. Es trägt den Titel Re-Strukturierung – Unternehmen wieder erfolgreich machenRichtig. Darüber freue ich mich sehr. Mit diesem eBook wollen die Autoren Mut machen. Denn der Begriff ‚Restrukturierung‘ weckt bei vielen unangenehme Assoziationen. Warum? Weil er Veränderung bedeutet. Und da heißt es für viele eben „Raus aus der Komfortzone“.

Ist eine Unternehmenskrise ein Sonder- oder Regelfall? Ein Sonderfall. Oder vielleicht besser gesagt: Eine Krise, die sich zu einer wirklichen Krise auswächst, sollte der Sonderfall sein. Die Herausforderung besteht darin, das Unternehmen so unter Spannung zu halten, als ob immer Krise wäre. Ein Pferd, das nicht die Zügel und die Beine an den Flanken spürt, läuft irgendwo hin. Aber nicht wohin es soll.

Worauf sollten Führungskräfte bei einer Restrukturierung achten? Zuallererst muss man absolute Führungsstärke zeigen und den Mut haben, auch schwierige, vor dem Hintergrund kaufmännischer Überlegungen getroffene Entscheidungen durchzuziehen. „Schwafeln“, Listen in Excel schreiben und sagen, welche Maßnahme in drei Jahren Wirkung zeigen könnte, ist nicht zielführend. Es geht um Execution: Man muss sagen können, dass die Maßnahme X im nächsten Monat oder im nächsten Quartal einen ganz konkreten Effekt zeitigen wird. Ein Don’t ist, die Aufgabe an andere abzuschieben. Die Geschäftsführung kann selbstverständlich Hilfe dazunehmen – aber sie muss die Banken und Kapitalgeber überzeugen, damit sie den Weg mitgehen. Dazu sind kurze, agile Schritte nötig. Denn nur so lässt sich schnell Geschwindigkeit aufnehmen.

Welche Rolle spielt die Kommunikation in diesem Zusammenhang? Eine sehr große. Denn viele Mitarbeiter sind verunsichert, wenn sie das Thema Restrukturierung hören. Diese Unsicherheit muss ihnen genommen werden muss, indem früh ins Unternehmen kommuniziert wird. Man muss der Frustration, der Skepsis und der inneren Kündigung unbedingt entgegenwirken. Wenn das Management erst in der Restrukturierung damit beginnt, ist der Zug bereits abgefahren.

Unternehmen, die sich aktuell in einer Restrukturierung befinden, haben im Vorfeld bereits Fehler gemacht, sonst wären sie nicht im Restrukturierungsmodus. Wir sehen dann häufig, dass der Umgang mit Zahlen, dass das Reporting vernachlässigt worden ist. Da genügt häufig ein Blick auf die Struktur des Zahlenwerks und wir wissen: Durchblick verloren.

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"Wir arbeiten in einem Restrukturierungs-Cockpit mit den relevanten Zahlen."

Sie nannten als Stichwort gerade das Zahlenwerk. Welches ist denn das richtige für eine Analyse? Sie brauchen die fünf richtigen Zahlen, nicht 100 falsche. Und so beginnt die Analyse mit der Frage, wie viele Mitarbeiter auf der Pay Role stehen. Die Festangestellten hat der Personalchef im Blick, die Aushilfskräfte der Produktioner – aber niemand hat eine Antwort auf die Frage, wie vielen Mitarbeitern in Summe Lohn bezahlt wird. Wir arbeiten in einem Restrukturierungs-Cockpit mit den relevanten Zahlen: Personalquote, Materialquote, Umsatz, Rückstände und Bestand. Die Zahlen generieren wir aus dem System, plausibilisieren, was wir gesehen haben, und geben sie in die Restrukturierungssysteme ein.

Viele Maßnahmen zielen darauf ab, finanzielle Reserven zu suchen. Ist das der einzige Weg? Wenn ein Unternehmen „schwäbisch“, heißt: sparsam wirtschaftet, die Ausschüttung moderat hält, nicht über seine Verhältnisse lebt und Vorkehrungen für die Zukunft trifft, hat es „die Kriegskasse voll“. Unternehmen, die in der Restrukturierung sind, sehen typischerweise das aktuelle Geschäft, haben aber keine Möglichkeit, auch nur einen Cent für ihr Zukunftsgeschäft zurückzulegen. Kommt dann ein besonders gravierender Einschlag wie die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 oder aktuell Corona, dann gerät ein mittelständisches Unternehmen schnell in Schieflage, weil die Umsätze wegbrechen. Wenn man jetzt eine Neuausrichtung starten will, die nicht aus dem operativen Cashflow finanziert werden kann, wird Geld benötigt. Häufig sucht das Management dann die Flucht in ganz andere Bereiche, wofür aber noch mehr Geld nötig ist.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass man auch mit kleinen Maßnahmen das bestehende Geschäft stabilisieren und das Unternehmen Step by Step in die Zukunft führen kann. Manche verhalten sich in dieser Situation dann total ungeduldig, und es wird versucht, den Hebel mit Gewalt umzulegen. Aber wenn Sie mit 200 km/h in eine Haarnadelkurve fahren, ist die Gefahr ziemlich groß, dass Ihnen Autoteile um die Ohren fliegen. Besser ist abzubremsen, die Kurve langsamer zu nehmen – und danach wieder zu beschleunigen. Immer Mario Andretti folgend: „If everything seems to be under control, you are just not going fast enough“ – gewisse Risiken müssen sein.

Herr Dr. Hanselmann, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.

Dr. Jochen Hanselmann ist Experte für Restrukturierungen. 2007 gründete er Hanselmann & Compagnie, ein Management Consulting-Unternehmen mit exzellentem Technologiewissen. Dr. Hanselmann ist Herausgeber der EDITION HANSELMANN und schreibt im eigenen Blog rund um die Themen Restrukturierung & Strategie im technologiegetriebenen Marktumfeld: http://blog.hcie-consulting.de/

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